Liebe in Zeiten von Corona-Folge #7 Für wenn ich tot bin – Ein Gespräch über den Tod der Eltern

Liebe in Zeiten von Corona-Folge #7 Für wenn ich tot bin – Ein Gespräch über den Tod der Eltern

Folge #7 - Für wenn ich tot bin
Ein Gespräch über den Tod der Eltern 

- Cosima 


“Für wenn ich tot bin.” 

So lautet der erste Satz des handgeschriebenen Testaments unseres Papas.

Es lag diese Woche in unseren Briefkästen.

Eine Formalie.

Und doch lässt es die Gedanken an den Tod unserer Eltern aufsteigen, wie einen Drachen im Wind. 

Die meisten Eltern von Menschen, die um die Jahrtausendwende und früher geboren sind gehören zur sogenannten Risikogruppe. So auch unsere Eltern.  Die aktuelle Forschung zeigt, für diese Gruppe von älteren und immungeschwächten Menschen kann der Coronavirus gefährlicher und tödlicher sein als für andere. Daher ist diese Gruppe aufgerufen, sich selbst besonders zu schützen, aber auch von und vor anderen geschützt zu werden.

Über den Tod wird selten gesprochen.

Momentan reden wir über Todeszahlen - pro Stadt, pro Land und weltweit. Wir reden über die Kapazität von Intensivbetten und Beatmungsgeräten. Aber wo bleibt der Raum dafür über den Tod zu sprechen? Über die Erfahrung des Sterbens von geliebten Menschen? Über die Angst, dass jetzt jemandem etwas passiert? Ein geliebter Mensch vielleicht sogar im Sterben liegt und man kann nicht ins Krankenhaus, um sie oder ihn zu besuchen?


Was löst der Gedanke an den Tod unserer Eltern aus?  

Fuck.

Unangenehm und überwältigend. . . so fühlt sich das an.

Meine Schwester und ich sprechen darüber, online natürlich. Es wurde geweint und gelacht. Und obwohl ich meine Schwester seit Wochen nur über einen Desktop sehe, fühle ich mich ihr so nah, wie lange nicht mehr. 

Unser Papa ist so alt, wie mancher Opa von Gleichaltrigen von uns.

 

Und während sich andere mit dem Tod ihrer Großeltern auseinander setzen, denken wir, wie wir uns gegenseitig gestehen, fast täglich an den Tod unseres Papa.


Obwohl er ziemlich fit für sein Alter ist und keine lebensbedrohliche Krankheit wie ein Damokles Schwert über ihm hängt.  Denn wir wissen, irgendwann kommt er, der Tod, egal wie fit jemand ist.

Wir wissen beide, dass man mit dieser Trauer leben und sie verarbeiten kann und trotzdem - es wird unfassbar weh tun. Unser Herz zerreißen. Der kleine Stich, den ich spüre wenn ich daran denke ist nur das Vorwort zum Roman der Trauer, der da auf uns zukommen wird. 

Der (in Zukunft liegende) Tod unseres Papas ist für uns beide greifbarer. Weil wir beide schon seit Jahren darüber nachdenken.

Und eine Welt ohne unsere Mama, die 14 Jahre jünger als unser Papa ist?

Das wollen wir uns beide nicht vorstellen.

Den Gedanken auszusprechen treibt uns Tränen in die Augen. 

Und dann müssen wir erstmal lachen. 

Na toll, da haben wir ja grad ein Fass an Gefühlen aufgemacht. 


Ich erinnere mich an einen Moment, als meine Mama und ich am Grab meiner Oma stehen. Ich bin neun oder zehn Jahre alt. Ich realisiere, dass was ich für meinen Mama fühle, sie wohl für ihre Mama fühlt, deren Körper jetzt im Boden vor uns liegt. Ich merke, wie sehr ich den Gedanken verdränge mal am Grab meiner Mama zu stehen. Mein Herz tut weh und ich drücke die Hand meiner Mama noch ein wenig fester und wünschte ich könnte sie für immer festhalten. 


Das Älterwerden der Eltern und das eigene Erwachsenwerden bringen einen Prozess des Loslassens mit sich. 

Unsere Eltern sind nicht genau das gleiche für uns, was sie einmal waren.

Wir erleben beide Situationen, wo der Rat der Eltern, das Unterstützende und die Geborgenheit von Mama nicht mehr hilft für das, was wir gerade durchmachen. Und das tut weh.

 Es löst eine Traurigkeit in uns aus. 


Das Kind in uns wünscht sich manchmal, dass es reichen würde, sich an Mama zu kuscheln, um die Herausforderungen und Angst zu meistern, die uns begegnet, wie es gereicht hat die Angst vor Monstern unterm Bett verschwinden zu lassen. 


“Dieses Gefühl im Abnabelungsprozess verbinde ich viel mit dem allein sein in der Welt. Solange die Eltern da sind, ist man eben doch nicht allein.”  - Marie

Dieser Prozess ändert natürlich nichts an der Liebe und Wertschätzung, die wir für unsere Eltern haben. 


Das Nachdenken über den Tod führt uns auch zu einem Nachdenken über das Leben.


Marie und ich haben jeweils mit 16 einen Schüleraustausch gemacht. Sie nach Australien, fünf Jahre später, ich nach Neuseeland. Eines Nachts wacht sie auf - am anderen Ende der Welt - und fragt sich, was wäre, wenn der Papa jetzt stirbt? Traurigkeit, Wut, ungeheilte Wunden und viel Ungesagtes würde zurückbleiben. So will ich nicht, dass es mal ist, wenn wir Abschied nehmen müssen, denkt sie. Der Wunsch, wieder eine stärkere Beziehung zu ihm aufzubauen, hat  angefangen zu keimen. Es sollte noch einige Jahre dauern, bis sich dieser Wunsch erfüllt und ihre Verbindung sich langsam aber tiefgründig wandeln wird.. Doch seit diesem Moment verfolgt sie dieses Anliegen und lässt es so Realität werden.


Die Idee meiner Schwester die Fluchtgeschichte (von der DDR nach Westdeutschland) unseres Papas aufzuschreiben war auch Teil der Beziehungsarbeit, Teil davon unseren Papa besser kennen zu lernen, Arbeit an ihr selbst, wie sie sagt, um so mit unserem Papa sein zu können, wie er ist. 

“Auch wenn nicht alle Wunden geheilt sind, kann ich jetzt sagen, ich bin ziemlich zufrieden mit der Beziehung, die wir jetzt haben und wie wir die gemeinsame Zeit verbringen. “ - Marie 


Meine Gastfamilie in Neuseeland hatte vier Töchter und für eine Zeit durfte ich die fünfte sein. Mein Gastvater und ich haben uns besonders gut verstanden. Er hat mir vom Klimawandel erzählt und warum es wichtig ist dagegen aktiv zu werden. Der erster Impuls, der mich für die kommenden Jahre zur Umweltaktivistin werden lässt. Wieder zuhause in Deutschland merke ich, wie sehr ich diese Art von Verbindung mit meinem Papa vermisse. Es fühlte sich an, als ob mein Papa mich gar nicht mehr richtig kennt. Rückblickend sehe ich, dass er sich immer in dem Maße um unsere Beziehung bemüht hat, in dem er es gerade konnte. Doch auch von mir war lange Zeit eine Verschlossenheit ihm gegenüber da.  Nach meinem Schüleraustausch ist dieser Wunsch in mir groß geworden, wieder eine Verbindung zu meinem Papa zu haben und ich habe ganz bewusst und intensiv Zeit mit ihm verbracht. Ich habe mich mehr für die Dinge interessiert, die er gerne mag und über die nächsten Jahre wächst unsere Beziehung zu etwas, was ich vorher nicht mehr im Raum des Möglichen gehalten hätte. 


Weiterhin ist es schmerzhaft über den Tod unseres Papas nachzudenken. Aber wir können beide sagen, dass die Zeit, wie wir sie jetzt verbringen schön ist und jeder Tag, der davon noch bleibt, ist wertvoll. Wenn ich das schreibe, merke ich, wie Kalenderspruchartig das klingt - und doch, es fühlt sich authentisch an. 


 Jetzt wo, alles abgesagt ist, wo wir mal gut eine Auszeit aus dem Stadtleben brauchen könnten, dürfen und wollen wir nicht zu unseren Eltern fahren, um sie zu schützen. 


Wir beide verbringen gerne Zeit mit unseren Eltern und wir kennen (leider) gar nicht so viele andere Menschen, die das von sich sagen.

Umso schmerzlicher vermissen wir sie und zu diesem Ort, an den wir  wir sonst immer flüchten können, immer willkommen sind und im Herzen wohl immer noch zuhause sind.

Wo wir über die Türschwelle treten und unser Lieblingsbrot und Blumen auf dem Tisch stehen.

Die Mietzi sich an den Beinen reibt und zwei unserer Lieblingsmenschen strahlend auf uns warten. 

“Passt auf euch auf”, denken und sagen wir und hoffen, dass solange wir die Kontaktbeschränkung einhalten müssen, unseren Eltern nichts passiert und sie gesund bleiben.

Wir hoffen, dass sie auf sich achtgeben und sich keinen unnötigen Risiken aussetzen.

Und das erste Mal bekommen wir einen Einblick, wie es wohl für unsere Eltern gewesen sein muss, wenn wir uns als Kinder oder Teenies auf Abenteuer begeben haben- man macht sich eigentlich ständig Sorgen, weiß, dass man nicht alles kontrollieren kann, und muss einfach vertrauen.

Wir bleiben zuhause...

...mit anderen Menschen oder  auch allein. Was macht das mit uns? Mit unserer Liebe, unseren Beziehungen, unseren Freundschaften?  Wie steht es um Sex in Quarantäne, Dating auf Distanz, Flirten nur noch digital? Absofort jeden Abend Dinner for One oder nur noch Pärchenabend?

Wir - Cosima und Marie - schreiben unter dem Titel “Liebe in Zeiten von Corona” darüber, was wir und andere durch Quarantäne, Kontaktbeschränkung und Social Distancing mit Partner*innen, Familie, Freunden*innen, Affären, Liebhaber*innen und Flirts erleben. Wir wollen über die Herausforderungen reflektieren, Sehnsüchte erkunden, Sorgen teilen, Momente der Isolationsromantik feiern und am Ende auch ein bisschen über uns und den ganz normalen Alltagswahnsinn lachen. 

Die Kolumne erscheint jede Woche Mittwoch und Sonntag auf cusilife.

 
 

Cosima studiert Philosophie und schreibt auf ihrem Blog cusillife über (Selbst-)Liebe und Polyamorie. Marie ist Psychologin und arbeitet als freiberufliche Prozessbegleiterin und Organisationsentwicklerin. Trotz ihrer 5,5 Jahre Altersunterschied haben sie sich früher als Zwillinge in Clubs rein geschmuggelt. Jetzt schreiben sie gemeinsam über die Liebe in Zeiten von Corona.

Liebe in Zeiten von Corona – Folge#6 Eine neue Art mich selbst zu lieben

Liebe in Zeiten von Corona – Folge#6 Eine neue Art mich selbst zu lieben

Folge #6 - Eine neue Art mich selbst zu lieben

- Marie

 

Die schwierigste Beziehung, die ich gerade führe, ist wohl die zu mir selbst. Ehrlicherweise ist sie das eigentlich immer. Aber Corona stellt auch diese Beziehung - wie auch die zu andere Menschen-  auf eine ganz neue Probe. 

Zu Beginn der Krise wurden alle meine Aufträge abgesagt oder in eine unbekannt weit entfernte Zukunft verschoben.


Während ich Mitte März an einem Donnerstag und Freitag noch einen Workshop gegeben habe, den niemand auch nur ansatzweise in Frage gestellt hat, stand ich am darauffolgenden Montag komplett ohne Arbeit dar. 


Dass mir meine Arbeit wichtig ist und mich mit Sinn erfüllt, wusste ich bereits. Aber in diesem Moment habe ich wirklich zum ersten Mal gemerkt, wie sehr ich mich selbst über meine Arbeit definiere, was für einen großen Teil meiner Identität und meines Selbstwert dieser Teil in meinem Leben ausmacht.

Um mich herum schienen viele Menschen die Zwangsentschleunigung zu genießen. 

Aufatmen, da der Druck wegfällt, überfall dabei sein zu müssen.

Sich freuen, endlich im Homeoffice zu arbeiten oder Zeit für lang aufgeschobene Projekte zu haben. 

Und ich?

Ich war am Boden zerstört. 


Wörtlich. Es gab Momente da lag ich auf dem Boden und habe mich gefragt wie es nur weitergehen soll. 


Mir ist es fast peinlich das zuzugeben. Denn 1. hat es so viele Menschen viel, viel schlimmer getroffen als mich und 2. haben so viele andere Menschen sofort agil, innovativ und dynamisch auf die Krise reagiert und sind mit coolen Online-Angeboten an den Start gegangen oder Nähen jetzt eben Masken wie verrückt.

Und ich? Ich liege am Boden und bemitleide mich selbst. Mehr denn je wird mir klar: Meinen Wert als Mensche messe ich immer noch vor allem daran, was ich am Ende eines Tages geschafft, bewirkt und erreicht habe. Und selbst in dieser total unverschuldeten Auszeit will das Leistungshamsterrad in mir einfach nicht still stehen. 

In den ersten beiden Wochen schaffe ich es nur durch den Tag, in dem ich ausschließlich das mache, worauf ich gerade Lust habe,  was sich gerade in dem Moment gut und leicht (oder leichter als anderes) anfühlt. Ich gehe also enorm viel spazieren oder joggen, schreibe, koche, atme, telefoniere, weine, schlafe. In den wenigen Momenten, in denen ich mich konzentrieren kann, versuche ich herauszufinden, was ich jetzt tun kann, was mir vielleicht an Hilfen vom Staat zusteht, wie es weitergehen kann. Mit der Zeit merke ich, dieses neue Verhältnis von bedingungsloser Selfcare und fokussierter Arbeit, erfüllt unerwarteter Weise etwas in mir - den langgehegten Wunsch mein Wohlbefinden mehr zu priorisieren und gut für mich zu sorgen.

 

Der Ausnahmezustand verlangt mir etwas ab, womit ich mein ganzes Leben schon hadere: Selbstliebe.

 

Und damit meine ich nicht die Art von Selbstliebe, die man sich mit Hilfe von Instagram-Affirmationen ins Hirn rein hypnotisiert - à la “Every body is a bikini body” (das stimmt natürlich, aber ist hier nicht der springende Punkt) - sondern die Art, die einem gebietet, aus allen vorhandenen Handlungsoptionen das zu wählen, was einem Energie gibt anstelle sie einem zu rauben.

Die Art, die einem signalisiert, wenn ein tolles Projekt, ein spannendes Angebot oder eine neue Möglichkeit nicht automatisch mit Begeisterung und Tatendrang angenommen werden muss, sondern man erstmal überlegen oder eben auch “Nein” dazu sagen kann.

Die Art, die starken Gefühlen Platz macht und gleichzeitig dafür sorgt, dass man daran nicht zugrunde geht.

Und die Art, die einen spüren lässt, was wirklich wichtig ist. 

Wie jede Liebesbeziehung ist auch die zu uns selbst nicht immer einfach und harmonisch.

Manchmal konkurrieren unterschiedliche Interessen miteinander, es kommt zu inneren Meinungsverschiedenheiten oder sogar zum viel beschriebenen inneren Konflikt.

Manchmal ist man traurig, verletzt, wütend über sich selbst - genauso wie in jeder anderen Beziehung eben auch. 

Und manchmal - so wie ich gerade die Erfahrung gemacht hab - gibt es einen Teil in uns, der für uns sorgt. Der aus purer Liebe handelt. Der möchte, dass es uns gut geht, dass wir kraftvoll durchs Leben gehen und mit unserer Essenz und all unserer Energie am Leben teilhaben können. 

So wie ich nach 15 Jahren Dating, 6 Jahren Beziehung und 1 Jahr Ehe die Liebe zu anderen noch nicht voll und ganz verstanden habe, so verstehe ich die Liebe zu mir auch nach fast 30 Jahren immer noch nicht wirklich.

 

Und trotzdem hat mir diese Krise einen neuen Einblick gegeben, darin, was es heißt mich selbst zu lieben. Für mich selbst zu sorgen. Die Person zu sein, die hält und gehalten wird zugleich. 


Wie jede Beziehung kostet es manchmal Kraft.

Manchmal schenkt es unendliches Glück.

Und manchmal ist es auch einfach nur schön, geliebt zu werden. 

Wir bleiben zuhause...

...mit anderen Menschen oder  auch allein. Was macht das mit uns? Mit unserer Liebe, unseren Beziehungen, unseren Freundschaften?  Wie steht es um Sex in Quarantäne, Dating auf Distanz, Flirten nur noch digital? Absofort jeden Abend Dinner for One oder nur noch Pärchenabend?

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Die Kolumne erscheint nach dieser Folge jede Woche Mittwochs auf cusilife.

 
 

Cosima studiert Philosophie und schreibt auf ihrem Blog cusillife über (Selbst-)Liebe und Polyamorie. Marie ist Psychologin und arbeitet als freiberufliche Prozessbegleiterin und Organisationsentwicklerin. Trotz ihrer 5,5 Jahre Altersunterschied haben sie sich früher als Zwillinge in Clubs rein geschmuggelt. Jetzt schreiben sie gemeinsam über die Liebe in Zeiten von Corona.

Liebe in Zeiten von Corona – Folge #5 Was nützt die Liebe in Gedanken?

Liebe in Zeiten von Corona – Folge #5 Was nützt die Liebe in Gedanken?

Folge #5: Was nützt die Liebe in Gedanken?

- Cosima 

 

Ich sitze vor dem Rechner und schaue auf das Gesicht meiner Freundin Anne. Ursprünglich aus München, studiert jetzt in Aachen.  Wir haben uns zum digitalen Kaffee trinken verabredet, da unser für Anfang April geplantes Mädelswochenende leider aufgrund der aktuellen Lage ausgefallen ist. Trotzdem wollen wir uns natürlich auf dem Laufenden halten, Freuden und Sorgen auch in dieser verrückten Zeit teilen. Daher frage ich irgendwann auch:

 

“Und was macht die Liebe so?”
Ihr breites Grinsen und leicht geröteten Wangen verraten mir sofort

-es gibt etwas zu erzählen. 


Kurz bevor wir alle in den kollektiven Hausarrest gesteckt wurden (also eigentlich nur die, deren Jobs von zu Hause erledigt werden können oder nicht systemrelevant sind) hatte sie einen wirklich vielversprechendes Tinder-Match: Julius. Sie waren sofort auf einer Wellenlänge und auf dem besten Weg, dass aus einem lustigem, flirty virtuellen Gespräch in den nächsten Tagen ein lustiges, flirty analoges Treffen und vielleicht mehr wird. 

Dann ruft die Mutti der Nation zur Vernunft auf, hält alle an zu Hause zu bleiben und den Kontakt doch bitte auf ein Minimum zu beschränken. Das ist erstmal bitter. Die ersten Tage herrscht bei allen Beteiligten noch Verunsicherung: Ist es jetzt noch okay sich zu treffen oder nicht? Wie sieht das das Gegenüber? Bei ihr und ihrem Match war schnell klar, bis zu einem persönlichen Treffen müssen sie sich wohl noch gedulden. 

Und nun?

Funkstille bis Mutti sie wieder raus zum Spielen lässt?

In Anne's Fall, nein. Es wird freundlich digital weiter geplaudert, gemeinsam bedauert, dass ein Treffen in eine unbestimmt weit entfernte Zukunft verschoben ist, sich die Absicht bekundet, dass man sich immer noch treffen will und dann die ersten Ideen ausgetauscht, was man denn bei einem solchen Treffen anstellen könnte. Und eh sie sich’s versieht, steckt sie jetzt mittendrin in einer sexy Brieffreundschaften. Bei den Briefen handelt es sich ehrlicherweise um What’sApp-Nachrichten. Aber immerhin. Da sie bisher Menschen, die ihr sympathisch waren - on- oder offline -  immer ziemlich direkt um ein Treffen gebeten hat, betritt sie damit völliges Neuland, gesteht sie mir. Ein Land voller Andeutungen, schriftlich ausgelebter Fantasien, sexy Gif’s und Selfies in Unterwäsche auf denen sie sich verrenkt, damit ihr Gesicht nicht, ihr Arsch aber gut zu sehen ist. 

Da stoppt sie kurz ihre Erzählung und schaut etwas verschmitzt, so als überlegte sie, ob sie mir das nächste Detail verraten mag. Sie lässt sich hinreißen und gibt zu: erotische Literatur habe bei ihr gerade Hochkonjunktur und ihre erste Kurzgeschichte hat sie auch schon als Mini-Hörbuch eingelesen und versandt. 

Es ist aufregend, lebendig, überraschend kreativ, macht Spaß und die Zeit zu Hause erträglicher. 

Aber da ist natürlich auch Frust.

Frust darüber, die aufregenden Fantasien nicht ausleben zu können. Frust darüber, die Wärme, die Haut, den Schweiß und, was sonst noch so involviert ist, nicht tatsächlich spüren zu können. Frust darüber, nicht zu wissen, wann man sich endlich wirklich treffen können wird. Und Frust, über die ständige Unsicherheit, ob man den Kontakt wird halten können.

Und über all dem immer die Frage:

Was nützt sie - die Liebe in Gedanken?

Wir bleiben zuhause...

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Die Kolumne erscheint jede Woche Mittwoch und Sonntag auf cusilife.

 
 

Cosima studiert Philosophie und schreibt auf ihrem Blog cusillife über (Selbst-)Liebe und Polyamorie. Marie ist Psychologin und arbeitet als freiberufliche Prozessbegleiterin und Organisationsentwicklerin. Trotz ihrer 5,5 Jahre Altersunterschied haben sie sich früher als Zwillinge in Clubs rein geschmuggelt. Jetzt schreiben sie gemeinsam über die Liebe in Zeiten von Corona.

Liebe in Zeiten von Corona – Folge #4,5 – Von der Liebe zum Gedicht

Liebe in Zeiten von Corona – Folge #4,5 – Von der Liebe zum Gedicht

Folge #4,5: Von der Liebe zum Gedicht

- HS , von uns auch Papa genannt

 

Geneigter Leser, geneigte Leserin,

mit dieser Anrede sind gleich zwei Punkte verraten:

Erstens, hier schreibt ein Gast auf der Kolumne der zwei Schwestern Marie & Cosima

und zweitens, der Schreiber ist ziemlich alt (modisch) ...

Was ist mein Anliegen?

In dieser Kolumne geht es ja um "Die  Liebe in Zeiten von Corona". Das Wort "Liebe" ist nun ein überaus weites Feld. Ich möchte heute jenen Teil Ihrer Zuneigung ansprechen, der Sie - wieder oder ganz neu - zum Lesen von Gedichten ermutigt.

Die Dichter und Dichterinnen halten in den Gedichten viel Trost und Lebensweisheiten für uns bereit.

Ein Beispiel, das Gedicht "Beherzigen" von Johann Wolfgang von Goethe:


Ach, was soll der Mensch verlangen?
Ist es besser, ruhig bleiben,
klammernd fest sich anzuhangen?
Ist es besser, sich zu treiben?

Soll er sich ein Häuschen bauen?
Soll er unter Zelten leben?
Soll er auf die Felsen trauen?
Selbst die festen Felsen beben.
Eines schickt sich nicht für alle
Sehe jeder, wie er's treibe
Sehe jeder, wo er bleibe,
Und wer steht, daß er nicht falle!



Am besten ist es, man liest Gedichte laut.

Noch besser: Sie lesen es Ihrer Liebsten oder Ihrem Liebsten vor,

zum Beispiel das Gedicht "Sehnsucht" von Joseph von Eichendorff. 

Die ersten Zeilen lauten:

Es schienen so golden die Sterne,
Am Fenster ich einsam stand
Und hörte aus weiter Ferne
Ein Posthorn im stillen Land.
Das Herz mir im Leibe entbrennte,
Da hab` ich mir heimlich gedacht:
Ach, wer da mitreisen könnte
In der prächtigen Sommernacht.

Was ich noch ans Herz legen möchte sind passend zum Thema der Kolumne zwei Liebesgedichte: "Freudvoll und leidvoll" von Johann Wolfgang von Goethe und "Erinnerungen an die Marie A." von Bertolt Brecht.

Gehen Sie auf Entdeckungsreise und finden Sie Ihr Lieblingsgedicht!

Zum Schluss möchte ich noch an Friedrich Hölderlin erinnern, der 2020 zum 250. Geburtstag geehrt wird. In seinem Gedicht "Patmos" dichtet er:

Wo aber Gefahr ist, wächst
Das Rettende auch.

Also:  Kopf hoch!

HS                    


Wir drei teilen die Liebe zu Gedichten. Am Frühstückstisch oder an Geburtstagen werden gerne ein paar Zeilen zum Besten gegeben.  Verbunden sein über Worte und manchmal andere sprechen lassen, wenn einem selbst die Worte fehlen.

Drei weitere Gedichte von drei Frauen:

"Wirst du..." - von Stefanie-Lahya Aukongo

Wirst du mit mir Murmeln sortieren
auf dem Boden meiner Seele?
Wirst du mich halten,
wenn ich nachts meinen eigenen Namen nicht mehr kenne?
Wirst du für mich die Geister wegscheuchen und 
gemeinsam mit mir den Stimmen in meinem Kopf antworten?
Wirst du, wenn meine Blume eines Tages blüht
und der Stil Stacheln trägt, 

wirst du sie gießen?

ja
nein
vielleicht


"Schöner Mensch" - von Cosima  

Schöner Mann.
Schöner Mensch. 
Zusammen versinken, 
ineinander.
Ich stelle mir deine Haut vor.
So weich, so lustvoll.
Sie hält dich zusammen.
Wir berühren uns, 
verführen und entführen
uns.
Sich eineinander,
füreinander öffnen.
Mein Körper riecht nacht dir
und 
wünscht sich 
du wärst noch hier.


“Von der Liebe, die da ist” - von Marie

Gerade lese ich viel
von der Liebe,
die fehlt,
die weit weg ist,
die herbeigesehnt wird,
die unerreichbar scheint.
Und doch ist sie da,
die Liebe.
Sie ist da,
wenn wir gemeinsam lachen,
wenn wir gemeinsam weinen,
gemeinsam verzweifeln,
gemeinsam loslassen. 
Die Liebe ist da,
wenn ich mir Zeit nehme,
zu atmen,
zu laufen,
zu schreiben,
zu sein. 
Die Liebe ist da,
wenn ich zurück schaue
und wenn ich voraus blicke.
Sie ist da
in diesem Moment.
Und im nächsten. 
Die Liebe ist da,
wenn wir gemeinsam anpacken,
aufstehen
und losgehen.
Sie ist da,
wenn wir gemeinsam schweigen,
aufschreien
und einstimmen. 
Die Liebe ist da, wo wir sind.
Sie ist da.

Wir bleiben zuhause...

...mit anderen Menschen oder  auch allein. Was macht das mit uns? Mit unserer Liebe, unseren Beziehungen, unseren Freundschaften?  Wie steht es um Sex in Quarantäne, Dating auf Distanz, Flirten nur noch digital? Absofort jeden Abend Dinner for One oder nur noch Pärchenabend?

Wir - Cosima und Marie - schreiben unter dem Titel “Liebe in Zeiten von Corona” darüber, was wir und andere durch Quarantäne, Kontaktbeschränkung und Social Distancing mit Partner*innen, Familie, Freunden*innen, Affären, Liebhaber*innen und Flirts erleben. Wir wollen über die Herausforderungen reflektieren, Sehnsüchte erkunden, Sorgen teilen, Momente der Isolationsromantik feiern und am Ende auch ein bisschen über uns und den ganz normalen Alltagswahnsinn lachen. 

Die Kolumne erscheint jede Woche Mittwoch und Sonntag auf cusilife.

 
 

Cosima studiert Philosophie und schreibt auf ihrem Blog cusillife über (Selbst-)Liebe und Polyamorie. Marie ist Psychologin und arbeitet als freiberufliche Prozessbegleiterin und Organisationsentwicklerin. Trotz ihrer 5,5 Jahre Altersunterschied haben sie sich früher als Zwillinge in Clubs rein geschmuggelt. Jetzt schreiben sie gemeinsam über die Liebe in Zeiten von Corona.


Liebe in Zeiten von Corona – Folge #4 – Dating auf Distanz

Liebe in Zeiten von Corona – Folge #4 – Dating auf Distanz

Folge #4 - Dating auf Distanz

 - Cosima

Als ich mit meiner WG beschlossen habe, dass wir uns Isolieren, habe ich mich gefragt, was das mit dem sozialen Wesen in mir macht, dem Wesen, das es liebt zu kuscheln, gerne Sex hat, flirtet, mit anderen Menschen Hand in Hand in der Sonne spaziert. Ich erinnere mich an die Worte einer Freundin: "Ja, war schon erst komisch, aber klappte überraschend schnell." 

Vor ein paar Jahren hatte sie ein Auslandssemester in England gemacht. Also: Fernbeziehung für 4 Monate mit ihrem damaligen Freund. Und das hieß auch: Skype Sex ausprobieren. Die beiden haben schnell ihre Freude daran gefunden und so die 4 Monate gut überstanden. 

Bis dato, habe ich alle visuelle Sexyness auf Screens eher gemieden. Ich steh nicht besonders auf Pornos und auch Videosex war nicht auf meiner “to try-list”.

Aber da wir ja jetzt quasi alle Fernbeziehungen,Fernfreundschaften oder Fernaffären haben, müssen Onlineräume auch für gemeinsames Abendessen, Sektfrühstück, Serien glotzen oder eben Sex herhalten.

Zum Beispiel bin ich in einer Telegramgruppe, von Menschen, die sich kennen, mögen und vor allem vertrauen. Die Gruppe ist speziell für Nudes, also Selfies mit möglichst viel Haut, Sexyness, mal süß, sinnlich oder eher witzig. Die letzten Wochen war die Gruppe etwas eingeschlafen. Nachdem klar war, dass wir uns alle erstmal nicht mehr sehen können, stieg der Nudetraffic radikal an! Und wenn ich mehrere Tage die Gruppe nicht öffne, gibt es über 100 Nachrichten. Seit der Quarantäne wurde der Hashtag #replicatethenude eingeführt. Weil wir fast alle zuhause sitzen und mal mehr mal weniger gelangweilt sind, kann man ein Selfie von sich schicken und andere mit dem Hashtag auffordern es so gut es geht nachzustellen. Dabei sind schon mehrere witzige und ziemlich heiße Fotostrecken entstanden. 

Die Gruppe ist toll. Doch ich habe mich auch gefragt, wie ich mit einzelnen Menschen intim und verbunden sein kann in dieser Zeit. 

Meine Liebhaber*innen und ich sind schnell kreativ und mutig geworden und haben uns für Videodates verabredet. Mal mit sexy, mal ohne.  Mal ein paar Tage vorher geplant, mal spontan, mal mit einer Person auf der anderen Seite, mal mit mehreren.Wie vor einem analogen Date war ich jedes Mal ein bisschen aufgeregt und Vorfreude hat sich breit gemacht. 

Wie wird es ablaufen? 

Hält die Internetverbindung? 

Und werde ich den Körper der anderen Person nicht noch viel mehr vermissen?

Ich war überrascht, wie schön und intim sich ein Videodate anfühlen kann. Nicht das tun zu können, was man normalerweise machen würde, macht Platz für Neues. Man kann nicht einfach zusammen Essen gehen, im gleichen Bett liegen und den Sex haben, den man sonst miteinander hätte. 


Technik kann für vieles herhalten. Es geht, es ist aufregend, es ist neu.
Der Fantasie sind auch hier eigentlich keine Grenzen gesetzt.  
Aber einfach nur Kuscheln ist mit dem Laptop wirklich nicht das Gleiche. 


Die Sehnsucht nach der Haut, dem Geruch, der Berührung, dem Kichern und dem Stöhnen der anderen Person bleibt. Die Sehnsucht nach den Küssen, der Körperwärme, dem Kopfkraueln. Die Sehnsucht nach dem einfach nur nebeneinander liegen. 

Was bleibt ist, die Sehnsucht selbst zu umarmen, weil wir uns grad nicht umarmen können.

Wir bleiben zuhause...

...mit anderen Menschen oder  auch allein. Was macht das mit uns? Mit unserer Liebe, unseren Beziehungen, unseren Freundschaften?  Wie steht es um Sex in Quarantäne, Dating auf Distanz, Flirten nur noch digital? Absofort jeden Abend Dinner for One oder nur noch Pärchenabend?

Wir - Cosima und Marie - schreiben unter dem Titel “Liebe in Zeiten von Corona” darüber, was wir und andere durch Quarantäne, Kontaktbeschränkung und Social Distancing mit Partner*innen, Familie, Freunden*innen, Affären, Liebhaber*innen und Flirts erleben. Wir wollen über die Herausforderungen reflektieren, Sehnsüchte erkunden, Sorgen teilen, Momente der Isolationsromantik feiern und am Ende auch ein bisschen über uns und den ganz normalen Alltagswahnsinn lachen. 

Die Kolumne erscheint jede Woche Mittwoch und Sonntag auf cusilife.

 
 

Cosima studiert Philosophie und schreibt auf ihrem Blog cusillife über (Selbst-)Liebe und Polyamorie. Marie ist Psychologin und arbeitet als freiberufliche Prozessbegleiterin und Organisationsentwicklerin. Trotz ihrer 5,5 Jahre Altersunterschied haben sie sich früher als Zwillinge in Clubs rein geschmuggelt. Jetzt schreiben sie gemeinsam über die Liebe in Zeiten von Corona.