Folge #2: Soziale Mondfinsternis

- Cosima 

FOMO. The Fear of Missing Out. In einer Stadt, in der man zu viele Menschen, zu viele Möglichkeiten, zu viele Freizeitaktivitäten und eigentlich von allem irgendwie zu viel hat, da ist es eine Kunst „Nein“ zu sagen. Zum dritten Brunch, After Hour, Technoparty, Picknick, Crafternoon, Buchclub, Jamsession, Saunaabend mit Singkreis und so weiter.

Und das alles an einem Wochenende.

Es ist ein schönes Problem, ein lebendiges, fast zu lebendiges Sozialleben zu haben. Es gibt selten einen Tag, an dem ich nichts vorhabe.

 

Mein Kalender sieht normalerweise aus, wie mit Farbbomben beworfen.
Und jetzt - dunkelgraue Leere von morgens bis Mitternacht.
Es ist erstmal alles abgesagt.


Mitte März sollte unsere Veranstaltung “Frühlingsgefühle” über ein Wochenende stattfinden für eine Community, in der ich in Berlin aktiv bin. Alles war seit Monaten geplant. Ein Freund und ich hatten gemeinsam viele Stunden in die Organisation gesteckt. Angesichts der wachsenden Sorgen rund um Corona mussten wir schließlich einsehen, dass ein Treffen mit 50 Personen grad nicht drin ist. (Auch wenn es legal noch möglich gewesen wäre). Zu der Zeit ahnten wir noch nicht, dass innerhalb der nächsten Woche nicht einmal mehr das Zusammentreffen von mehr als zwei Menschen erlaubt zwei würde. Während die Zahlen der Coronainfizierten exponentiell wuchsen, stieg auch die Zeit, die ich damit verbrachte, über Corona zu sprechen, Treffen abzusagen, Nachrichten zu checken, Netflix zu schauen und Corona Memes zu teilen. 

Und dann plötzlich drehte sich die Welt langsamer. Stand für einen Moment sogar still. 

Alles wurde verschoben, abgesagt und geschlossen. Ab jetzt zuhause bleiben. Auch wenn ich traurig darüber war, dass wir das Wochenende auf Eis legen mussten, ich war erleichtert: Ein ganzes Wochenende, an dem ich nichts vorhatte und die Möglichkeiten, was anderes zu machen mit jeder Stunde weniger wurden. Eine Art soziale Mondfinsternis. Ich muss mal nirgends hin.

Erst jetzt merkte ich, wie sehr der soziale Druck, überall dabei sein zu wollen, sonst auf mir lastet.

 

Zwei Tage lang einfach nur zuhause sein, ich habe quasi „Coronafrei“ von meinem eigenen Sozialleben.

Und dann dreht sie sich plötzlich doch wieder weiter, die Welt.

Ab Montag hatte ich dann auf einmal schon wieder drei Telefonate am Tag, Gruppen Zoom Calls, Telegram Chats und 27 Einladungen auf Facebook zu digitalen Konzerten, Meditationen, Yoga, Sharing Circles, Comedy Shows, Online Parties und so weiter...

Die soziale Mondfinsternis war schon wieder vorbei.

Und alle machen jetzt noch mehr „ihr Ding“ und „starten voll durch“.

Don’t get me wrong – ich finde es toll, wie schnell und kreativ viele Menschen reagiert haben. Gerade für Personen, die alleine leben oder die mit Events und Shows ihr Geld verdienen, ist es wunderbar, dass es vieles davon jetzt online gibt. Die Welt soll sich ja weiterdrehen. Gewisse Normalität in der Krise ist unverzichtbar, und doch  möchte ich anerkennen, dass wir es mit einer Ausnahmesituation zu tun haben.

Ich hatte darauf gehofft, endlich mal „in meiner Höhle“ zu sitzen.

Die Welt in Ruhe zu lassen.

Und von der Welt in Ruhe gelassen zu werden.

Selbst zur Ruhe zu kommen.

Aber die Welt wird nicht weniger komplex und weniger überwältigend, auch nicht in Zeiten  einer Pandemie...gerade jetzt nicht!

Also raus aus der Höhle und spazierengehen, reden, spielen, überlegen, was ich und die Welt gerade brauchen. Die Kunst, die ich in der Quarantäne gerade lerne (weil ja jetzt jeder irgendwas mit Kunst macht), ist nicht überall dabei sein zu müssen, mein Leben nicht einfach nur auf online umzustellen, nicht dem Druck des Produktivitätshamsterrads zu verfallen, mir erlauben, Urlaub zuhause zu machen. Anstatt Kaffee am Strand in Portugal, wie ursprünglich geplant, lieber Kaffee auf dem Balkon in der Hängematte. Und abends dann dem Mond zuschauen. 


Wir bleiben zuhause...

...mit anderen Menschen oder  auch allein. Was macht das mit uns? Mit unserer Liebe, unseren Beziehungen, unseren Freundschaften?  Wie steht es um Sex in Quarantäne, Dating auf Distanz, Flirten nur noch digital? Absofort jeden Abend Dinner for One oder nur noch Pärchenabend?

Wir - Cosima und Marie - schreiben unter dem Titel “Liebe in Zeiten von Corona” darüber, was wir und andere durch Quarantäne, Kontaktbeschränkung und Social Distancing mit Partner*innen, Familie, Freunden*innen, Affären, Liebhaber*innen und Flirts erleben. Wir wollen über die Herausforderungen reflektieren, Sehnsüchte erkunden, Sorgen teilen, Momente der Isolationsromantik feiern und am Ende auch ein bisschen über uns und den ganz normalen Alltagswahnsinn lachen. 

Die Kolumne erscheint jede Woche Mittwoch und Sonntag auf cusilife.

 
 

Cosima studiert Philosophie und schreibt auf ihrem Blog cusillife über (Selbst-)Liebe und Polyamorie. Marie ist Psychologin und arbeitet als freiberufliche Prozessbegleiterin und Organisationsentwicklerin. Trotz ihrer 5,5 Jahre Altersunterschied haben sie sich früher als Zwillinge in Clubs rein geschmuggelt. Jetzt schreiben sie gemeinsam über die Liebe in Zeiten von Corona.


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