Folge #7 - Für wenn ich tot bin
Ein Gespräch über den Tod der Eltern
- Cosima
“Für wenn ich tot bin.”
So lautet der erste Satz des handgeschriebenen Testaments unseres Papas.
Es lag diese Woche in unseren Briefkästen.
Eine Formalie.
Und doch lässt es die Gedanken an den Tod unserer Eltern aufsteigen, wie einen Drachen im Wind.
Die meisten Eltern von Menschen, die um die Jahrtausendwende und früher geboren sind gehören zur sogenannten Risikogruppe. So auch unsere Eltern. Die aktuelle Forschung zeigt, für diese Gruppe von älteren und immungeschwächten Menschen kann der Coronavirus gefährlicher und tödlicher sein als für andere. Daher ist diese Gruppe aufgerufen, sich selbst besonders zu schützen, aber auch von und vor anderen geschützt zu werden.
Über den Tod wird selten gesprochen.
Momentan reden wir über Todeszahlen - pro Stadt, pro Land und weltweit. Wir reden über die Kapazität von Intensivbetten und Beatmungsgeräten. Aber wo bleibt der Raum dafür über den Tod zu sprechen? Über die Erfahrung des Sterbens von geliebten Menschen? Über die Angst, dass jetzt jemandem etwas passiert? Ein geliebter Mensch vielleicht sogar im Sterben liegt und man kann nicht ins Krankenhaus, um sie oder ihn zu besuchen?
Was löst der Gedanke an den Tod unserer Eltern aus?
Fuck.
Unangenehm und überwältigend. . . so fühlt sich das an.
Meine Schwester und ich sprechen darüber, online natürlich. Es wurde geweint und gelacht. Und obwohl ich meine Schwester seit Wochen nur über einen Desktop sehe, fühle ich mich ihr so nah, wie lange nicht mehr.
Unser Papa ist so alt, wie mancher Opa von Gleichaltrigen von uns.
Und während sich andere mit dem Tod ihrer Großeltern auseinander setzen, denken wir, wie wir uns gegenseitig gestehen, fast täglich an den Tod unseres Papa.
Obwohl er ziemlich fit für sein Alter ist und keine lebensbedrohliche Krankheit wie ein Damokles Schwert über ihm hängt. Denn wir wissen, irgendwann kommt er, der Tod, egal wie fit jemand ist.
Wir wissen beide, dass man mit dieser Trauer leben und sie verarbeiten kann und trotzdem - es wird unfassbar weh tun. Unser Herz zerreißen. Der kleine Stich, den ich spüre wenn ich daran denke ist nur das Vorwort zum Roman der Trauer, der da auf uns zukommen wird.
Der (in Zukunft liegende) Tod unseres Papas ist für uns beide greifbarer. Weil wir beide schon seit Jahren darüber nachdenken.
Und eine Welt ohne unsere Mama, die 14 Jahre jünger als unser Papa ist?
Das wollen wir uns beide nicht vorstellen.
Den Gedanken auszusprechen treibt uns Tränen in die Augen.
Und dann müssen wir erstmal lachen.
Na toll, da haben wir ja grad ein Fass an Gefühlen aufgemacht.
Ich erinnere mich an einen Moment, als meine Mama und ich am Grab meiner Oma stehen. Ich bin neun oder zehn Jahre alt. Ich realisiere, dass was ich für meinen Mama fühle, sie wohl für ihre Mama fühlt, deren Körper jetzt im Boden vor uns liegt. Ich merke, wie sehr ich den Gedanken verdränge mal am Grab meiner Mama zu stehen. Mein Herz tut weh und ich drücke die Hand meiner Mama noch ein wenig fester und wünschte ich könnte sie für immer festhalten.
Das Älterwerden der Eltern und das eigene Erwachsenwerden bringen einen Prozess des Loslassens mit sich.
Unsere Eltern sind nicht genau das gleiche für uns, was sie einmal waren.
Wir erleben beide Situationen, wo der Rat der Eltern, das Unterstützende und die Geborgenheit von Mama nicht mehr hilft für das, was wir gerade durchmachen. Und das tut weh.
Es löst eine Traurigkeit in uns aus.
Das Kind in uns wünscht sich manchmal, dass es reichen würde, sich an Mama zu kuscheln, um die Herausforderungen und Angst zu meistern, die uns begegnet, wie es gereicht hat die Angst vor Monstern unterm Bett verschwinden zu lassen.
“Dieses Gefühl im Abnabelungsprozess verbinde ich viel mit dem allein sein in der Welt. Solange die Eltern da sind, ist man eben doch nicht allein.” - Marie
Dieser Prozess ändert natürlich nichts an der Liebe und Wertschätzung, die wir für unsere Eltern haben.
Das Nachdenken über den Tod führt uns auch zu einem Nachdenken über das Leben.
Marie und ich haben jeweils mit 16 einen Schüleraustausch gemacht. Sie nach Australien, fünf Jahre später, ich nach Neuseeland. Eines Nachts wacht sie auf - am anderen Ende der Welt - und fragt sich, was wäre, wenn der Papa jetzt stirbt? Traurigkeit, Wut, ungeheilte Wunden und viel Ungesagtes würde zurückbleiben. So will ich nicht, dass es mal ist, wenn wir Abschied nehmen müssen, denkt sie. Der Wunsch, wieder eine stärkere Beziehung zu ihm aufzubauen, hat angefangen zu keimen. Es sollte noch einige Jahre dauern, bis sich dieser Wunsch erfüllt und ihre Verbindung sich langsam aber tiefgründig wandeln wird.. Doch seit diesem Moment verfolgt sie dieses Anliegen und lässt es so Realität werden.
Die Idee meiner Schwester die Fluchtgeschichte (von der DDR nach Westdeutschland) unseres Papas aufzuschreiben war auch Teil der Beziehungsarbeit, Teil davon unseren Papa besser kennen zu lernen, Arbeit an ihr selbst, wie sie sagt, um so mit unserem Papa sein zu können, wie er ist.
“Auch wenn nicht alle Wunden geheilt sind, kann ich jetzt sagen, ich bin ziemlich zufrieden mit der Beziehung, die wir jetzt haben und wie wir die gemeinsame Zeit verbringen. “ - Marie
Meine Gastfamilie in Neuseeland hatte vier Töchter und für eine Zeit durfte ich die fünfte sein. Mein Gastvater und ich haben uns besonders gut verstanden. Er hat mir vom Klimawandel erzählt und warum es wichtig ist dagegen aktiv zu werden. Der erster Impuls, der mich für die kommenden Jahre zur Umweltaktivistin werden lässt. Wieder zuhause in Deutschland merke ich, wie sehr ich diese Art von Verbindung mit meinem Papa vermisse. Es fühlte sich an, als ob mein Papa mich gar nicht mehr richtig kennt. Rückblickend sehe ich, dass er sich immer in dem Maße um unsere Beziehung bemüht hat, in dem er es gerade konnte. Doch auch von mir war lange Zeit eine Verschlossenheit ihm gegenüber da. Nach meinem Schüleraustausch ist dieser Wunsch in mir groß geworden, wieder eine Verbindung zu meinem Papa zu haben und ich habe ganz bewusst und intensiv Zeit mit ihm verbracht. Ich habe mich mehr für die Dinge interessiert, die er gerne mag und über die nächsten Jahre wächst unsere Beziehung zu etwas, was ich vorher nicht mehr im Raum des Möglichen gehalten hätte.
Weiterhin ist es schmerzhaft über den Tod unseres Papas nachzudenken. Aber wir können beide sagen, dass die Zeit, wie wir sie jetzt verbringen schön ist und jeder Tag, der davon noch bleibt, ist wertvoll. Wenn ich das schreibe, merke ich, wie Kalenderspruchartig das klingt - und doch, es fühlt sich authentisch an.
Jetzt wo, alles abgesagt ist, wo wir mal gut eine Auszeit aus dem Stadtleben brauchen könnten, dürfen und wollen wir nicht zu unseren Eltern fahren, um sie zu schützen.
Wir beide verbringen gerne Zeit mit unseren Eltern und wir kennen (leider) gar nicht so viele andere Menschen, die das von sich sagen.
Umso schmerzlicher vermissen wir sie und zu diesem Ort, an den wir wir sonst immer flüchten können, immer willkommen sind und im Herzen wohl immer noch zuhause sind.
Wo wir über die Türschwelle treten und unser Lieblingsbrot und Blumen auf dem Tisch stehen.
Die Mietzi sich an den Beinen reibt und zwei unserer Lieblingsmenschen strahlend auf uns warten.
“Passt auf euch auf”, denken und sagen wir und hoffen, dass solange wir die Kontaktbeschränkung einhalten müssen, unseren Eltern nichts passiert und sie gesund bleiben.
Wir hoffen, dass sie auf sich achtgeben und sich keinen unnötigen Risiken aussetzen.
Und das erste Mal bekommen wir einen Einblick, wie es wohl für unsere Eltern gewesen sein muss, wenn wir uns als Kinder oder Teenies auf Abenteuer begeben haben- man macht sich eigentlich ständig Sorgen, weiß, dass man nicht alles kontrollieren kann, und muss einfach vertrauen.
Wir bleiben zuhause...
...mit anderen Menschen oder auch allein. Was macht das mit uns? Mit unserer Liebe, unseren Beziehungen, unseren Freundschaften? Wie steht es um Sex in Quarantäne, Dating auf Distanz, Flirten nur noch digital? Absofort jeden Abend Dinner for One oder nur noch Pärchenabend?
Wir - Cosima und Marie - schreiben unter dem Titel “Liebe in Zeiten von Corona” darüber, was wir und andere durch Quarantäne, Kontaktbeschränkung und Social Distancing mit Partner*innen, Familie, Freunden*innen, Affären, Liebhaber*innen und Flirts erleben. Wir wollen über die Herausforderungen reflektieren, Sehnsüchte erkunden, Sorgen teilen, Momente der Isolationsromantik feiern und am Ende auch ein bisschen über uns und den ganz normalen Alltagswahnsinn lachen.
Die Kolumne erscheint jede Woche Mittwoch und Sonntag auf cusilife.
Cosima studiert Philosophie und schreibt auf ihrem Blog cusillife über (Selbst-)Liebe und Polyamorie. Marie ist Psychologin und arbeitet als freiberufliche Prozessbegleiterin und Organisationsentwicklerin. Trotz ihrer 5,5 Jahre Altersunterschied haben sie sich früher als Zwillinge in Clubs rein geschmuggelt. Jetzt schreiben sie gemeinsam über die Liebe in Zeiten von Corona.
Vielen Dank für diese bereichernde Kolumne. Zwei Dinge haben mich besonders angesprochen: Der Tod wird in Gesprächen und in den Medien meines Umfelds technisch-rational besprochen, aber kaum emotional. Dabei kann das sehr befreiend sein.
Zweitens fand ich die Entscheidung inspirierend sich aktiv mit dem Leben des Vaters zu beschäftigen. Und das zusammen mit ihm. Das Elternteil aus einer anderen Rolle kennenlernen. Daraus kann sicher etwas Neues entstehen. Ich nehme den Artikel als Anstoß auch kreativer an meine Beziehung zu meinen Eltern heranzugehen.
Liebe Anne-Marie,
vielen dank für deine Worte! Das ist schön zu hören.