Folge #12: Schwesternliebe

- Marie 


Eins der beiden aufregendsten Ereignisse in meiner Kindheit war wohl der Tag, an dem ich mein erstes Fahrrad geschenkt bekommen habe.

Es war neon pink und grün mit Fähnchenstange am Gepäckträger, die wild flatterte, wenn ich die Straße entlang brauste.

Das zweite Ereignis war der Tag, an dem meine kleine Schwester Cosima geboren wurde.

Ich erinnere mich, dass ich bei meiner Patentante auf dem Sofa saß als das Telefon klingelte und meine Eltern aus dem Krankenhaus anriefen, um zu sagen:

Sie ist da.

Cosima Pina.

9 Wochen zu früh, aber gesund und munter. 

Dass es sie gibt, schreibe ich mir selbst auf die Fahne, denn meine Eltern wollten eigentlich - so die Legende - kein zweites Kind. Nur mein beständiges Nachfragen und Rumnerven, wann ich endlich ein Geschwisterchen kriege, hat sie letztendlich doch überzeugt. So wurde fünfeinhalb Jahre nach mir die kleine Cosima geboren und ist seither nicht mehr aus meinem Leben wegzudenken. 

Seit dem gehen wir als Schwestern durchs Leben. Was das für uns heißt, was daran schön und was daran schmerzhaft ist, beleuchten wir in einem gemeinsamen Gespräch.


Wenn ich gefragt werde, was das Beste daran ist eine kleine Schwester zu haben, dann antworte ich, die Tatsache, dass meine Schwester bis auf die ersten 5,5 Jahre meines Lebens immer da und mit mir in Beziehung war.

Sie ist kontinuierliche Zeugin meines Lebens.


Wir teilen die einzigartige Erfahrung, Kind unserer Eltern zu sein.

Diese Form des Verstehens teilen nur sie und ich. Das bewegt auch sie, als ich ihr diese Frage stelle. Dazu kommt, dass sie mit mir als großer Schwester neben unseren Eltern, noch eine Person beim Aufwachsen hat, die ihr einen Zugang zur Welt verschafft, der häufig  viel näher dran ist, an dem was sie erlebt. Sie hat den Eindruck, etwas extra mitzubekommen von der Welt, denn alles was ich erlebe, färbt auf sie ab. Sei es meine Liebe zum Theater oder mein Interesse für Gewaltfreie Kommunikation. Ich finde dafür die Erfahrung, dass die eigene Meinung so von jemanden geschätzt wird und sich auch auf Lebensentscheidungen auswirkt, eine krasse Erfahrung, und bin mir daher meiner Verantwortung als große Schwester oft bewusst. 

Wir ähneln einander.

Denn wir haben den gleichen Hang zu starken Gefühlen und schlechtem Wortwitz.

Und natürlich teilen wir auch die Liebe zum Schreiben.

Und doch sind wir sehr unterschiedlich. Mich zieht es schon immer in die weite Welt hinaus, sie ist gerne zu Hause. Sie liebt die Uni und die Theorie und geht daher voll im Studium des professionellen Nachdenkens (Philosophie) auf. Bis auf meine Herzensmenschen kann ich kaum was gutes am Studieren finden. Ich lerne lieber von Erfahrungen, praktisch, im Geschehen. Texte und Studien lesen finde ich mühsam und nervig.

Wenn ich Cosima jemanden beschreiben müsste, würde ich sagen, sie ist ein mutiger Mensch. Ein Mensch, die tut was sie will, und sich nicht dafür entschuldigt, oder versteckt, mit dem, was sie bewegt. Sie lebt nach ihrem eigenen Rhythmus und geht dabei voller Vertrauen auf das Leben zu. Sie mag Samt und hat immer gerne viele Menschen um sich herum. Oft beneide ich Sie darum, wie gut sie Grenzen setzen kann und für sich selbst sorgt und mit welchem Vertrauen und spielerischer Lust, sie ihr Leben gestaltet. Und ich bewundere sie auch für ihr Durchhaltevermögen - denn wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat, gibt sie keine Ruhe bis sie hat, was sie will.

In ihren Augen bin ich ein ehrgeiziger Mensch, der sich den Dingen mit viel Hingabe und Sorgfalt widmet. Das macht mich für sie zu einem sehr verlässlichen Menschen. Mehrmals in dem Gespräch erwähnt sie meine kreativen und persönlichen Geschenke, die für sie ein Ausdruck meiner liebevollen und künstlerischen Art sind. Es freut mich, dass die Liebe und Mühe, die ich in diese kleinen Projekte stecke, auch ankommt und gesehen wird. 

Die Kehrseite daran eine kleine Schwester zu haben, ist dass man ganz plötzlich die sonst gebündelte Aufmerksamkeit der Eltern mit jemandem teilen muss. Wenn ich ehrlich bin, nervt mich das heute manchmal noch. 

 
Oft habe ich den Eindruck, dass meine Eltern bei mir denken “Die macht das schon!” und sich um Cosima ständig Sorgen machen. Das wiederum lastet auch oft auf ihr.


Als kleine Schwester hat sie auch hin und wieder Angst, Sachen immer nur nachzumachen und nichts eigenes und neues machen zu können, weil schon jemand vor ihr die Welt entdeckt hat. 


Und auch die Sorge, nie so gut sein zu können, wie die große Schwester. Je älter wir werden, desto mehr lösen sich diese Dynamiken und Sorgen allerdings auf, denn nicht nur wir entwickeln uns weiter, sondern auch unsere Beziehung. 

Meine allererste Erinnerung an Cosima ist, wie sie von meinem Papa hinter einer Scheibe auf der Frühchenstation hochgehalten wird und ganz klein, schrumpelig und verletzlich aussieht. Heute sehe ich eine große, starke und schöne Frau vor mir. Auf dem Weg dahin ist viel passiert. Wir haben gespielt, gestritten, geweint und gelacht. Wir machen uns gemeinsam Sorgen, um unsere Eltern, und wir gehen uns auch heute ab und zu noch auf die Nerven. Wir feiern gemeinsam und lassen gemeinsam die Seele baumeln.

Die Zusammenarbeit an dieser Kolumne war ein ganz neues Kapitel in unsere Beziehung. 

Corona war und ist ein wilder Ritt. Es gab Momente der unfassbaren Trauer und des Loslassens. Es gab Momente des inneren Friedens und des Glücks. Was ich in einigen Monaten oder sogar Jahren als Fazit aus dieser Zeit ziehen werde, ist noch nicht vollends abzusehen.Was für mich jedoch auf jeden Fall bleiben wird, ist die neue Verbindung, die dieses Projekt mit meiner Schwester geschaffen. Wir haben entdeckt, dass zusammenarbeiten überraschend gut klappt und uns erstaunlich viele ähnliche Dinge beschäftigen. Dass wir uns gut ergänzen und gemeinsam zu schreiben unglaublich inspirierend sein kann. 

Diese Kolumne kommt nun vorerst zu einem Ende.

Unsere Zusammenarbeit nicht.

Wir begeben uns gemeinsam auf die Suche, wie diese aussehen kann und was diese zum Inhalt haben wird. Wir sind selbst aufgeregt und freudig gespannt, was wir entdecken werden. Und wir hoffen, dass du, die das gerade liest, dann auch wieder daran teilhaben wirst. 

In Liebe, 

Cosima und Marie

Wir bleiben zuhause...

...mit anderen Menschen oder  auch allein. Was macht das mit uns? Mit unserer Liebe, unseren Beziehungen, unseren Freundschaften?  Wie steht es um Sex in Quarantäne, Dating auf Distanz, Flirten nur noch digital? Absofort jeden Abend Dinner for One oder nur noch Pärchenabend?

Wir - Cosima und Marie - schreiben unter dem Titel “Liebe in Zeiten von Corona” darüber, was wir und andere durch Quarantäne, Kontaktbeschränkung und Social Distancing mit Partner*innen, Familie, Freunden*innen, Affären, Liebhaber*innen und Flirts erleben. Wir wollen über die Herausforderungen reflektieren, Sehnsüchte erkunden, Sorgen teilen, Momente der Isolationsromantik feiern und am Ende auch ein bisschen über uns und den ganz normalen Alltagswahnsinn lachen. 

 
 

Cosima studiert Philosophie und schreibt auf ihrem Blog cusillife über (Selbst-)Liebe und Polyamorie. Marie ist Psychologin und arbeitet als freiberufliche Prozessbegleiterin und Organisationsentwicklerin. Trotz ihrer 5,5 Jahre Altersunterschied haben sie sich früher als Zwillinge in Clubs rein geschmuggelt. Jetzt schreiben sie gemeinsam über die Liebe in Zeiten von Corona.

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