Folge#8 - Feierwut
- Marie
Bars?
Geschlossen.
Clubs?
Geschlossen.
Festivals?
Abgesagt.
Privat Party?
Verboten.
Statt Liebe gibt es heute Wut.
Feierwut.
Und Wut übers Nicht-Feiern.
Denn Corona ist eine echte Spielverderberin.
Mittlerweile sehne ich mich fast täglich danach mit nackten Füßen irgendwo im Sand zu tanzen. Mir die Seele vom Bass massieren zu lassen und dabei Menschen um mich zu haben, die weniger als 1,5 Meter von mir entfernt sind.
Selbst durch eine verschwitzte Menge im Club gedrücken zu werden, scheint mir mittlerweile kein notwendiges Übel mehr, sondern eine erstrebenswerte Zukunft.
Dazu gehört auch: Andere Menschen beim Tanzen an sich spüren, eng gedrängt an einer Bar stehen, jemanden an den Händen nehmen, um sich nicht zu verlieren oder ein ruhigeres Plätzchen zu finden.
Selbst wenn der Schichtbetrieb in den Schulen irgendwann reibungslos funktioniert, der Clubbetrieb wird wohl noch eine ganze Weile auf sich warten lassen, denn ich bezweifle, dass sich demnächst eine Politikerin vor das Mikro stellt und sagt:
“Geht euch durchseuchen, Kinder! Feiert, tanzt und reibt euch aneinander.”
Ich lebe nicht allein und durch meine Hausgemeinschaft leide ich weniger an der Isolation. Die letzten Wochen waren für mein Quaranteam extrem verbindend. Die fleißigen Arbeiterbienen sind normalerweise früh morgens aus dem Stock geflogen. Jetzt sitzten wir alle im Zwangshomeoffice, aber wir haben mehr Zeit füreinander. Für Kaffeepausen und Feierabendbiere im gemeinsamen Garten statt unterwegs zwischen Potsdam und Berlin. Mehr Zeit gemeinsam den Garten schön zu machen und dem Titelbild der “Landlust” anzugleichen. Mehr Zeit füreinander zu kochen und uns zu neuen kulinarischen Höhen aufzuschwingen. Mehr Zeit für Gespräche und Themen, die im Alltag oft keinen Platz finden. Mehr Zeit zu merken, wie gern wir uns haben und wie wichtig wir uns sind.
Wir haben uns die Zeit wirklich so gut es geht schön gemacht und bereits jetzt trage ich viele berührende Erinnerungen daran in mir.
Was mir fehlt sind die Auswege.
Das auch mal nicht hier sein können.
So sehr ich die Häuslichkeit der letzten Wochen auch genießen konnte.
Ich möchte mal wieder rauskommen.
Weg sein.
Um mich dann wieder auf zuhause freuen zu können.
Ob nach einer mehrtägigen Realitätsflucht auf einem Festival oder eine durchfeierten Nacht. Ich habe Menschen um mich und trotzdem sehne ich mich nach Menschenmassen.
Ich sehne mich nach Entgrenzung.
Ich möchte mich auflösen - in den Lichtern, der Musik und den vielen Menschen um mich. Zumindest für den Moment.
Bei aller Kreativität rundum Online-Pubquiz, digitale Dance Sessions und DJ-Sets per Livestream habe ich noch keine Corona-sichere Variante gefunden genau diese unbeschwerte Losgelöstheit zu finden.
Es bleibt das Hoffen.
Hoffen auf eine Zukunft in der wir uns wieder unbeschwert bewegen können.
Auf der Tanzfläche und durch die Welt.
Wir bleiben zuhause...
...mit anderen Menschen oder auch allein. Was macht das mit uns? Mit unserer Liebe, unseren Beziehungen, unseren Freundschaften? Wie steht es um Sex in Quarantäne, Dating auf Distanz, Flirten nur noch digital? Absofort jeden Abend Dinner for One oder nur noch Pärchenabend?
Wir - Cosima und Marie - schreiben unter dem Titel “Liebe in Zeiten von Corona” darüber, was wir und andere durch Quarantäne, Kontaktbeschränkung und Social Distancing mit Partner*innen, Familie, Freunden*innen, Affären, Liebhaber*innen und Flirts erleben. Wir wollen über die Herausforderungen reflektieren, Sehnsüchte erkunden, Sorgen teilen, Momente der Isolationsromantik feiern und am Ende auch ein bisschen über uns und den ganz normalen Alltagswahnsinn lachen.
Die Kolumne erscheint jede Woche Mittwoch und Sonntag auf cusilife.
Cosima studiert Philosophie und schreibt auf ihrem Blog cusillife über (Selbst-)Liebe und Polyamorie. Marie ist Psychologin und arbeitet als freiberufliche Prozessbegleiterin und Organisationsentwicklerin. Trotz ihrer 5,5 Jahre Altersunterschied haben sie sich früher als Zwillinge in Clubs rein geschmuggelt. Jetzt schreiben sie gemeinsam über die Liebe in Zeiten von Corona.